48 STORIES ZEITEN DES AUFBRUCHS Mats Henningh verbindet seine Musik mit Geschichte. Als Jugendlicher vom Beatles-Hype angesteckt, fing er selbst an, Songs zu schreiben. In seinem Buch „Auf dem Weg zu Ike’s Café – oder – wie wir beinahe alle Beatles wurden“ wirft er einen Blick in seine eigene Vergangenheit. Die passenden Klänge liefert Henningh gleich mit. Zu dem Buch erscheint ein Album, für das er die Songs von früher neu aufbereitet hat. MATS HENNINGH BUCH: „AUF DEM WEG ZU IKE’S CAFE – ODER – WIE WIR BEINAHE ALLE BEATLES WURDEN“ TRULY SIRIUS CD: „IKE’S CAFE“ WEB: MATSHENNINGH.JIMDO.COM MM: Du hast ein Buch über dein Leben als Musiker geschrieben. Wie kam es dazu? MATS HENNINGH: Schon vor längerer Zeit hatte ich die Idee, mir einmal das von der Seele zu schrei ben, was mich als 19-Jährigen so bewegt hat, als ich zusammen mit zwei gleichaltrigen Freun den Musik machte. Diese Zeit erscheint mir heute als besonders intensiv. Etwas später habe ich dann noch einmal neu angesetzt und den Zeitrahmen weiter gefasst, nämlich von dem Moment an, als mich die Beatles musikalisch infizierten, bis in die un - mittelbare Gegenwart hinein. MM: Der Fokus des Buches sind die Sieb zi ger - jahre. Wie sah dein Leben damals aus? MATS: Aus heutiger Sicht nicht gerade mustergültig. Ich hatte große Schwierigkeiten in der Schule, einem humanistisch-katholischen Gymnasium (bis heute bin ich mir nicht sicher, ob das nicht ein Widerspruch in sich ist). Sowohl der Lehrstoff als auch die Lehrer selbst schienen mir zum großen Teil ungeeignet, sich mit den Fragen auseinanderzusetzen, die sich uns Jugendlichen aufdrängten. Einziger Ausweg für mich: Die Flucht nach vorn in die Musik mit exzessivem Songschreiben. Das hatte ich zusammen mit einem Schulfreund schon ein paar Jahre zuvor begonnen; und als wir dann unseren dritten Mann fanden, einen Deutsch- Japaner mit philippinischen Wurzeln, waren wir komplett und nannten uns „Anythree“, was so viel bedeutete wie „Irgend drei“, drei, die äußerlich ganz normale Typen waren mit langen Haaren, wie es sich damals für coole Leute gehörte, innerlich aber schon was Besonderes wegen ihres Talents, gute Songs zu schreiben. MM: Dieses Jahrzehnt gilt noch heute als ikonisch – auch dank der Musik. Was sind deine Erinnerungen an das Lebensgefühl? musiker MAGAZIN 4/2017
STORIES 49 MATS: Eigentlich empfinde ich mich musikalisch eher als ein Kind der 60er. Hier war ich wohl genau in dem Alter, wo der Mensch am leichtes - ten zu begeistern ist. Dazu erschien dann – quasi als Synergieeffekt – plötzlich diese unglaubliche Gruppe aus Liverpool, die sicher auch aus heutiger Sicht zum Größten zählt, was die Rock- und Popmusik hervorgebracht hat. Das Lebens gefühl damals kann man am besten mit nur einem Wort charakterisieren: Aufbruch. Es gab so viel Neues und Verrücktes, das in den Menschen ein Gefühl hervorrief, sich neu zu definieren und auszuprobieren. Denken wir nur mal an die neuen Verhü - tungs methoden, die Mondlandung, die Studen ten - bewegung, die Kulturrevolution in China. Na, und die Rock- und Popmusik taten das ihre dazu. Die Siebziger erschienen mir damals lediglich als eine konsequente Fortsetzung der 60er. Wir waren ja auch erst am Anfang dieses Jahrzehnts. Wenn man bedenkt, dass GENESIS gerade erst in den Startlöchern waren und wir sie noch gar nicht richtig auf dem Schirm hatten. MM: Dein Buch trägt den Titel „Auf dem Weg zu Ike’s Café – oder – wie wir beinahe alle Beatles wurden“. Worauf spielt der Titel an? MATS: Ike’s Café war ein beliebtes Tagescafé in der Bonner Wenzelgasse. Eigentlich hieß es schlicht „Nr. 12“, wir nannten es nur Ike’s Café, weil der Besitzer, ein Berliner, auf den Kosenamen Ike hörte. Dieses Café stellte in gewisser Weise unseren kulturellen Mittelpunkt dar. Hier trafen wir uns, hingen rum, hatten Spaß und traten auch ein paarmal auf. Dass wir unseren großen Idolen nacheiferten, versteht sich von selbst angesichts der Tat sache, dass sich diese Supergruppe gerade erst kurz vorher aufgelöst hatte. Ihr Einfluss und ihre An - ziehungskraft waren geradezu gigantisch. Gab es seit den Beatles denn je eine Band, die in einem Monat die ersten fünf Plätze der amerikanischen Charts belegte? Das musste ja auf uns abfärben! Insofern waren wir innerlich nahe dran, irgendwie selber Beatles zu werden. Und ich glaube, wir waren nicht die einzigen, denen es so oder so ähnlich erging. MM: Passend zum Buch ist auch ein Album entstanden, auf dem deine alten Songs neu vertont werden. Wie klingen die Songs, die darauf zu hören sind? MATS: Sie klingen überraschend gut, obwohl ich für den einzelnen Song im Schnitt nicht mehr als fünf Stunden Zeit hatte. Ich musste mir im Vorfeld alles genau überlegen, wie die Instrumente und die Stimmen einzusetzen waren, um hier nichts unnötig in die Länge zu ziehen. Allerdings hatte ich auch ausgezeichnete Musiker, die mir bei der Umsetzung des Unterfangens halfen. Die Songs selbst sind fast ausschließlich un - plugged aufgenommen. Hin und wieder ist aber auch schon mal eine Hammond dabei, in einem Song auch mal ein E-Bass. Der Stil ist trotz der großen Nähe der Beatles eigenständig. Ich lege Wert darauf hervorzuheben, dass wir sie nicht einfach kopiert hatten, wie viele das damals taten, sondern – obwohl natürlich von ihnen stark beein - flusst – wir unsere eigene Note hatten. Viele unserer Stücke sind sehr eingängig, wie das auch bei unseren Vorbildern der Fall war. Man hört sie ein-, zweimal und sie bleiben im Ohr. Hier will ich mal ein wenig unbescheiden sein: Das ist eine Kunst für sich, die wir gut beherrschten. »Das Lebens gefühl damals kann man am besten mit nur einem Wort charakterisieren: Aufbruch. Es gab so viel Neues und Verrücktes, das in den Menschen ein Gefühl hervorrief, sich neu zu definieren und auszuprobieren.« MM: Das Album entsteht unter dem Namen „Truly Sirius“ zusammen mit einer Violi nistin. Wie hat sich die Zusammenarbeit ergeben? MATS: Schon lange vor der Produktion hatte ich eine Anzeige aufgegeben, in der ich Musiker suchte, mit denen ich auftreten wollte, um die alten Songs live darzubieten. Louisa war eine der ersten, die sich meldete; und sie war schließlich auch diejenige, mit der ich das Projekt im Studio konsequent durchziehen konnte. Sie ist eine äußerst begabte Violinistin und steuert zu den Songs ihre ureigene kreative Melodieführung bei. Der Name „Truly Sirius“ spielt auf das Doppelgestirn Sirius an und ist natürlich ein Wortspiel. MM: Gleichzeitig an einem Album und einem Buch zu arbeiten ist sicherlich ein Mammut - projekt. Warum ist dir trotzdem wichtig, dass sie zusammen erscheinen? MATS: Das genau ist das Besondere an der Sache. Das Buch soll die Songs sozusagen be - gleiten, und umgekehrt sollen die Songs musikalisch verdeutlichen, was im Buch behandelt wird. Sie sollen das Geschehen rund um unsere Musik akustisch untermalen und dem Leser ermöglichen, sich besser in die Zeit und ihre Akteure, natürlich im Besonderen in den Erzähler und seine Mit mu si - ker, hineinzudenken und hineinzufühlen. Die Ver - gan gen heit wird dadurch zur Gegenwart. Das ist exakt das, was ich damit bewirken will. Klar, das Ganze war schon ein ordentliches Projekt. Es hat sehr viel Zeit in Anspruch genommen und viel Geduld gekostet; und eine Menge Herzblut, das ich in die Sache investiert habe. Schön, dass sich alles gut zusammengefügt hat und es jetzt richtig weitergeht damit! MM: Was ist nach der Veröffentlichung ge - plant? Werdet ihr Konzerte spielen oder ver - anstaltet ihr Lesungen? MATS: Da sind wir völlig offen, auch wenn es gegenwärtig noch keine konkrete Planung gibt. Im Moment haben wir beide weitere Projekte, an denen wir arbeiten. Dennoch könnte es sich er - geben, dass wir hier aktiv werden. Ich denke, wir sind da sehr flexibel und passen uns den gegebenen Umständen an. MM: Einen großen Teil des Musiker-Daseins nehmen heute Vermarktung und Vertrieb ein. Hast du dir dazu schon Gedanken gemacht? MATS: Ja, sehr gerne würde ich Buch und CD im Doppelpack sofort als Book on Demand anbieten. Dies gestaltet sich aber recht schwer, da es nur wenige Anbieter gibt, die beides drucken und liefern können. Ich biete deshalb zunächst einmal das Buch alleine zu einem kostengünstigen Preis als BoD an, wäre im Weiteren jedoch an einem geeigneten Verlag interessiert, der mir die echte Option – Buch und CD – garantieren kann. MM: Was erhoffst du dir von diesem Pro jekt? MATS: Da steht an erster Stelle der von mir lang gehegte Wunsch, unsere Songs von damals endlich zu veröffentlichen, sie gewissermaßen aus der Vergangenheit in die Gegenwart zu katapultieren. Ich finde, sie sind einfach zu gut, um in der Be deu - tungslosigkeit zu verschwinden. Gleichzeitig möchte ich durch mein Buch unterhalten. Wenn ich es dann noch schaffe, dass man über beide Zeit epo - chen ein wenig nachdenkt und dadurch zu positiven persönlichen Erkenntnissen kommt, hätte ich genau das erreicht, was ich mir erhofft hatte. WEB: MATSHENNINGH.JIMDO.COM INTERVIEW: JANA MOYSICH FOTO: LUCA BASTIAN 4/2017 musiker MAGAZIN
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