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Musiker Magazin 03/2013

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Leslie Clio – „Meine Lieder sind reine Reflexion“ Lisa Fitz – „Der lange Weg zum Ungehorsam“ Eclipse Sol-Air – Eine Prog-Rock-Band will ohne Major-Deal hoch hinaus Fernsucht – Deutscher Pop-Preisträger 2012 Safiya – The Orient meets the Occident30 René Ulbrich – „So weit so nah!“ GEMA: Rechtsstaatswidrig? GEMA-Petition – Beschlussergebnis Deutscher Bundestag Das Groovephänomen – eine Analyse Führungsstile in Bands – Braucht jede Band einen Bandleader? Was ist eigentlich eine Band juristisch betrachtet

46 MUSIKBUSINESS Er

46 MUSIKBUSINESS Er steht als ästhetisches Ideal im Zentrum sämtlicher aus der afro - amerikanischen Musikkultur her vor - ge gangenen musikalischen Strö - mungen und ist ebenso aus zahlreichen nachfolgenden Genres kaum wegzudenken, gar allgegenwärtig. Dennoch entzieht sich dessen Begrifflichkeit aufgrund seiner faszinierenden Kom plexität jeglicher allgemein gültigen Bestimmung. Grund genug, sich einen Überblick über die strukturelle Beschaffen heit und die emotionale Wirkungs di - mension jenes musikalischen Phä - no mens zu verschaffen. DAS GROOVE- PHÄNOMEN – eine Analyse Von zentraler Bedeutung für die Ge - staltung eines Grooves ist das Fühlen und Ausführen des richtigen Timings. Der Prozess der Timinggestaltung wird von Mu - sikern durch die Einbeziehung diverser rhyth - mischer Parameter beeinflusst. Zunächst gibt es da den Aspekt der Subdivision, auch Mikro timing genannt. Dieser findet auf einer Art Sub-Beat - ebene statt und meint die Unterteilung des Beats in kleinere Einheiten (z. B. Achtel, Triolen, Sech - zehntel), wodurch die Regelmäßigkeit der Pul sa - tion jedoch nicht beeinflusst wird. Ein weiteres Verfahren charakterisiert die Phrasierung einzelner Strukturelemente. Dies findet auf der Beat - ebene selbst statt und meint die Ausführung der Subdivision. Hier kommt es beispielsweise zu einer binären Gestaltung des musikalischen Materials oder durch eine ternäre Strukturierung zu einer Interpretation im Shufflefeel. Und selbst dazwischen besteht ein enormer Variationsspielraum – man denke an die In-between-Spielweise. Eng damit verbunden ist der Aspekt der rhythmischen Artikulation, also das systematische Ab - weichen von einem empfundenen zeitlichen Puls. Es wird zwischen drei Artikulations mo men - ten unterschieden: ahead, laid back und on top. Während Ersterer ein frühzeitiges Anspielen der Töne im Verhältnis zu einem konstanten Beat charakterisiert, bezeichnet Zweiterer eine als relaxt empfundene Platzierung von Noten leicht hinter der wahrgenommenen Zeit. Letzterer hingegen zeichnet sich durch das Spielen der exakt auf dem Beat liegenden Töne aus. Um den (e)motionalen Gehalt eines Musiktitels zu transportieren, vollziehen sich jene Artikulations mo - mente in Abhängigkeit vom zugrunde liegenden Tempo des jeweiligen Songs. Tempi bis ca. 84 bpm werden häufig laid back gespielt. Tempi wiederum von 84 bis 132 bpm können laid back, ahead oder on top sein. Tempi hingegen über 132 bpm verlangen meist nach mehr Drive und werden somit ahead ge - spielt (dies sind lediglich ungefähre Richtwerte). Sämtliche mikrotemporalen Konzeptionen und rhythmischen Artikulationen können durchaus in unterschiedlicher Ausprägung existieren, mitunter selbst innerhalb eines Taktes. Sie sind somit zeitlich nicht exakt determinierbar und mathematisch nicht präzise notierbar. Zum einen weisen sie stiltypische Merkmale auf und sind von dem jeweils gespielten Pattern und von ihrer Funktion innerhalb eines Songs geprägt. Zum anderen re - sultieren sie aus einem spezifischen Körper ge fühl eines Musikers. Sie stellen subjektive Timing- Prä ferenzen dar, charakterisieren gar individuelle spielästhetische Qualitäten. In dem Zusammenhang ist der Faktor der Selbst reflexion ein weiterer, nicht unerheblicher Aspekt. Dieser meint das Bewusstsein über die spieltechnischen Fähigkeiten, um diese in einem bestimmten Tempo präsentieren zu können. Das heißt jedoch nicht, sämtliches Erlerntes im musikalischen Miteinander wild zu demonstrieren. Es ist vielmehr eine Kompetenz, durch eine reflektierte Wahl der spielerischen Ressourcen diese für eine fokussierte, dynamische und originelle rhythmische Gestaltung zu verwenden, um so durch Feeling den Charakter des je - weiligen Titels zu bereichern. Oder anders: das, was man spielt, auch so meinen, wie man es spielt. Nicht nur das Was ist entscheidend, sondern auch das Wie. Was braucht der Song? Wie kann es ge - schmackvoll beigesteuert werden? Der Vorgang, frei zu assoziieren, spontan zu handeln, im entscheidenden Moment das Ent - scheidende zu spielen (oder ggf. wegzulassen) und ein sensibilisiertes Gehör für die Mitmusiker zu besitzen, gleicht einem kommunikativen Pro - zess. Dieser impliziert zum einen den Aspekt des Zuhörens, zum anderen das Moment, einen Teil der Persönlichkeit über das Instrument auszudrücken und emotionale Erfahrungen zu vermitteln. Die so zustande kommende musikalische Kon versation kann als ein aufmerksames Wechsel - spiel zwischen dem Akt des Agierens und des Reagierens verstanden werden. Diverse individuell geprägte Phrasierungen und Artikulations mo - mente interagieren also miteinander und beeinflussen sich gegenseitig. Die dadurch hervorgebrachte rhythmische Er - scheinung besteht in der Regel nicht aus überlangen Patterns. Vielmehr gestaltet sich die struk tu - relle Beschaffenheit eines Grooves als eine kurze, meist über einen oder zwei Takte andauernde, sen sibel und dynamisch gestaltete rhythmische Figur. Charakteristisch hierbei ist, dass diese musiker MAGAZIN 3/2013

MUSIKBUSINESS 47 obschon (oder aufgrund) ihrer zyklischen Form mit einer Intensität vorgetragen wird, welche die ihr immanente Spannung aufrecht hält – was wichtig für den emotional-motivationalen Charakter von Rhythmen ist. Aber gibt es denn überhaupt so etwas wie universell gültige Mechanismen zur kog - nitiven Rhythmus verar bei tung? Um dieser Frage nachzugehen, empfiehlt sich eine genauere Be - trach tung diverser kognitiver Parameter als In - stanzen zur Rhythmuser for schung. Im Prozess des auditiven Wahrnehmens rhyth - mischer Strukturen, definiert als zeitliche Ver hält - nisse aufeinander folgender Töne, vollzieht sich eine assoziative Synthese von elementaren Schall - empfindungen. Das heißt, um jenen Schallempfin - dungen eine rhythmische Gestalt zu geben, er - folgt auf kognitiver Ebene eine Gruppierung eben dieser akustischen Reize zu rhythmischen Ein - heiten. Selbst bei einem konstanten, ohne Be - tonung isochron vorgetragenen rhythmischen Impuls empfindet der Hörer Akzentuierungen. So wird z. B. eine in einem konstanten Tempo und gleichmäßig wiederholende rhythmische Folge von sechs identischen Impulsen in drei Gruppen je zwei Schläge oder in zwei Gruppen je drei Schläge geordnet. Rhythmus kann also als struk - turierte kognitive Repräsentation einer Folge von akustischen Objekten innerhalb definierter Zeit - räume verstanden werden. Rhythmus ist Resultat einer Suche des Sinns nach Klarheit innerhalb des auditiv Erfassten. So weit, so gut – doch was kann abgeleitet werde? Folgendes: Ein Groove weist aufgrund sei- »Der Groove steht als ästhetisches Ideal im Zentrum sämtlicher aus der afro amerikanischen Musikkultur hervorgegangenen musikalischen Strö mungen und ist aus zahlreichen nachfolgenden Genres kaum wegzudenken.« ner zyklisch über eine zeitliche Dauer von ein oder zwei Takten vorgetragene Gestalt eine Äquivalenz zu der psychologischen Präsenzzeit der kognitiven Erfassung akustischer Impulse mit einer zeitlichen Ausdehnung von einer bis fünf Sekunden auf. In der musikalischen Praxis hilft zudem eine Ak zen - tuierung der ersten Zählzeit, den Beginn des rhythmischen Zyklus festzulegen, und begünstigt eine Orientierung der zeitlichen Wahrnehmung. Wenn zudem das der zyklisch vorgetragenen rhythmischen Figur zugrunde liegende Tempo mit der inneren Uhr des Rezipien ten übereinstimmt (der durchschnittlich präferierte Tempo bereich auf Seiten des Hörers liegt zwischen 60 und 130 bpm), kann dies das Eintreten motionaler Reflexe durchaus begünstigen. Der äußere Rhythmus braucht also lediglich einen inneren, bereits vorhandenen Rhythmus zu synchronisieren. Ebenso interessant ist der Aspekt der Hör - erwartung. Diese resultiert aus der in der psychologischen Präsenzzeit erworbenen auditiven Erfahrung des rhythmischen Vortrags. Erfolgt dieser in einer zyklischen Gestalt, tritt auf Seiten des Hörers sogleich eine kognitive Erwartungs hal tung bezüglich des kurz zuvor Wahrgenommenen ein. Es kommt zu einer Vertrautheit des Hörers mit dem Gehörten. Eine sich in kurzen zyklischen Zeit - amplituden wiederholende rhythmische Figur be - wirkt eine Wiedererkennung und fördert die kog - nitive Effektivität der Identifikation. Die subjektive Hörerwartung unterliegt aber auch einem dynamischen Prozess. Durch Einbeziehung rhythmischer Artikulationsmomente, Phrasierungen und Akzentuierungen wird dem bereits Bekannten stets etwas Neues hinzuaddiert. Die Musik wird mit einer Intensität performt und die Aufmerk sam - keit bleibt trotz der sich wiederholenden Form erhalten. Durch solche Soundgestaltungen wirkt ein Groove unbewusst psychomotorisch stimulierend, da die Frequenz seiner rhythmischen Ge - stalt die Gliedmaßen zum Mitschwingen anregt. Um allerdings universal gültige Aussagen be - züglich der Mechanismen zur kognitiven Rhyth - musverarbeitung treffen zu können, müssten kulturvergleichende Studien herangezogen werden. Im Kontext der afroamerikanischen Musik jedoch, in deren Zentrum – wie eingangs erwähnt – der Groove als ästhetisches Ideal fest verankert ist, kann abschließend gesagt werden, dass sich die Auffassung des Groovephänomens nicht lediglich auf die dynamische Symbiose musikimmanenter Aspekt konzentriert. Rhythmus spe zifische Parameter zur Hervorbringung eines Grooves existierten zweifellos (die Liste repräsentativer Auf - nahmen ist endlos) und sollten somit zur Aus lö - sung motionaler Reflexe genügen. Aber darüber hinaus existiert in der afroamerikanischen Kultur ein spezifisches Musikverständnis, welches eine körperliche Involviertheit aller am Musikprozess beteiligten Personen impliziert. Dieser partizipatorische Aspekt steht in engem Zusammenhang mit den mikrorhythmischen Abweichungen im musikalischen Gestaltungsprozess. Der Groove erhält dadurch eine ganz besondere Wirkungs - dimension: Er steht als Metapher für eine positiv erlebte Flusserfahrung. Viel diskutiert, entzieht er sich dennoch jeglicher Bestimmungsversuche – und das ist auch gut so. In einer sich stets ausdifferenzierenden musikalischen Praxis tritt er in unterschiedlicher Aus prä - gung in Erscheinung und ist höchst individuell. TEXT: HENDRIK HOINKIS FOTO: © M.STUDIO/FOTOLIA.COM 3/2013 musiker MAGAZIN

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