26 STORIES Für Jessy war es gleich klar, dass ich mitkomme. Ich hatte zunächst großen Respekt, aber sagte zu. Und ich bin froh, dass ich zugesagt habe. Es war wie eine Reise in meine Kindheit, weil meine Eltern früher den Rockpalast viel gesehen haben. Nun stand ich selbst dort, das Rockpalast-Logo direkt hinter mir, und meine Eltern schauten die Live-Übertragung in Jordanien, kurz vor dem plötzlichen Tod meines Vaters, im Internet. Das war ein abgefahrenes Gefühl. Mein Vater war so stolz und glücklich. Ich freue mich, dass er diesen Moment noch mit mir teilen konnte. Die komplette Produktion hat super viel Spaß ge - macht. Eine grandiose Band und eine tolle Crew vor Ort. Einen so schnellen und guten Sound - check habe ich selten erlebt. Alle top am Start und eingespielt. MM: Aktuell bist du fester Bestandteil der Hörbie Schmidt Band. Wie kam es dazu? LILI CZUYA: Hörbie und ich lernten uns kennen, als ich 16 Jahre alt war. Er unterstützte damals meine Band LILI, die von meinem ersten Ge - sangslehrer und damaligen Produzenten Jürgen Scholz auf einer der Hauptbühnen auf der Kieler Woche präsentiert wurde. Wir waren uns gleich sympathisch. Hörbie und ich blieben von dort an immer in Kontakt. Später arbeiteten wir auch zusammen in seiner Rock & Pop Schule Kiel, in der Party- und Galaband MOVE AND GROOVE BAND und in Workshops. Später gründete Hörbie die HÖRBIE SCHMIDT BAND und fragte mich immer wieder, ob ich dabei sein möchte. Es war mir einige Jahre aus verschiedenen Gründen nicht möglich. Hörbie blieb dran. Eine sehr typische Eigenschaft von Hörbie, für die ich sehr dankbar bin. Im Jahr 2016 war es dann so weit. Ich sang die erste Show mit der HÖRBIE SCHMIDT BAND und war verzaubert. Der Blues, die Wahr haf tig - keit von Hörbie als Frontmann, der einfach frei Schnau ze aus seinem Leben erzählt, die tollen Musiker und diese urigen Clubs in Nord deutsch - land. Das war genau meins. Seitdem bin ich mit ganzem Herzen dabei und genieße jedes einzelne Kon zert. Die besondere Live-Atmosphäre, die Misch ung aus deutschen, plattdeutschen und englischen Texten, die Auswahl aus Eigenkom - po sitionen und Interpretationen bereits bestehender Bluesklassiker und die darin vielfältige Be leuch tung aller Facetten der Liebe macht diese Band so lebendig und vielfältig. MM: Ist für 2022 eine Tour geplant? LILI CZUYA: Bereits 2020 war eine Tour geplant, die wegen vieler Auflagen und Schließungen der Veranstaltungsorte abgesagt werden musste. Auch 2021 erlebten wir viele defensive Rück - meldungen. Einige Clubs warteten auf wichtige Hilfsgelder, die ewig nicht eintrafen, andere sind bereits pleite und mussten ihre teils über Jahr - zehnte etablierten Clubs schließen. Mir blutet das Herz. Es zeigt den nicht wiederherstellbaren Ver - lust einer gewachsenen Kulturszene. Ein großer Teil an Kulturgut stirbt. Es ist brutal und grausam. In den vergangenen Jahren haben wir bereits zwei erfolgreiche Tourneen in Süddeutschland und der Schweiz spielen dürfen. Ein Teil der geplanten Tournee für 2022 ist bestätigt. Wir hoffen sehr, dass wir bald wieder auf die Bühne können. Es fehlt uns sehr. Gern würden wir auch weitere Länder bespielen, weshalb wir immer wieder nach Unterstützung einer passenden Agentur Ausschau halten, da das Booking hierfür sehr umfassend ist und international erfahrene und vernetzte Booker braucht. Hörbie und ich wollen dieses Jahr zusätzlich auch als Duo einen Teil des Programms der HÖRBIE SCHMIDT BAND präsentieren. Wir hoffen, dass sich im Sommer Möglichkeiten hierfür entwickeln. MM: Wie sieht generell die berufliche Situa - tion während Covid-19 für dich aus? LILI CZUYA: Ich persönlich habe das große Glück, in der aktuellen Situation auch als Logopädin tätig sein zu können. Das wäre vor vielen Jahren anders gewesen, da ich einige Jahre hauptsächlich als Live-Sängerin tätig war. Viele meiner Freunde und Kollegen stehen gerade vor den Trümmern der ausgeschalteten Kultur- und Live - szene. Es ist dramatisch. Es wurden ihnen nicht nur ihre Einnahmen, sondern auch ihr komplettes Lebenswerk und ihre Identitäten genommen. Einige von ihnen arbeiten nun als Paket zusteller oder auf Baustellen, da bei einigen von ihnen weder die Coronahilfen greifen noch andere Hilfs - gelder. Sie haben ein Berufsverbot. Künstler ar - beiten nicht vorrangig wegen des Geldes, sondern weil es ihre Berufung ist. Viele von ihnen haben keine Kraft, keine Muße, keine Inspiration und vor allem keine Perspektiven mehr. Ihre Kunst stirbt. Jeden Tag mehr. Künstler gelten als nicht systemrelevant, obwohl Kultur und Musik aus meiner Sicht ein Grundrecht darstellen sollten. Wenn hier keine grundsätzliche Wende eintritt, wird ein Großteil der Kulturbranche nicht mehr existieren und leider existiert ein Teil bereits jetzt schon nicht mehr. MM: 1999 und 2003 absolviertest du als jüngs - te Teilnehmerin den Kontaktstudiengang für Popularmusik an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg. Wie kann man sich so einen Studiengang vorstellen? LILI CZUYA: Ich bin in einem Hamburger Brenn - punkt-Stadtteil aufgewachsen, in dem ich das Glück hatte, dass Musik eines der Förderpro - gramme war und meine Eltern mich immer sehr unterstützt haben. Ich bekam im Alter von 13 Jahren kostenfrei Unterricht verschiedener In - stru mente und Gesangsunterricht. Schnell entwickelte sich meine erste Band, und ich fing an, Songs zu schreiben. Als ich 15 Jahre alt war, be - warb ich mich an der Hochschule für Musik und Theater für den legendären Popkurs und schickte meine selbst aufgenommene Kassette ein. Ich wurde zum Vorspielen in die Hochschule eingeladen. Ich nahm meine Gitarre in die Hand und fuhr zur Hochschule. Ich stellte mich vor die Jury und sang meine Songs. Ich war glücklich. Das war genau das, was mich erfüllte. Ich wurde genommen. Nach wenigen Wochen begann der Kontaktstudiengang. Ich wurde damals vom Unterricht der neunten Klasse meiner damaligen Gesamtschule befreit und besuchte die Musik - hochschule. Es war so faszinierend für mich. Ich war plötzlich die jüngste Teilnehmerin von 30 ausgewählten Musikstudenten und Berufs mu - sikern aus ganz Deutschland, Österreich und der Schweiz. Die meisten Teilnehmer waren Mitte 20. www.musiker-online.tv
STORIES 27 »Künstler gelten als nicht systemrelevant, obwohl Kultur und Musik aus meiner Sicht ein Grundrecht darstellen sollten.« mit meiner langjährigen Kollegin und zugleich besten Freundin Nina Maleika. Wir sind wie ein Ehepaar, wenn wir zusammen arbeiten. Wir verstehen uns blind und können uns komplett ohne Worte verstehen, wodurch wir gemeinsam seit über 14 Jahren viel Spontaneität und Lebendig - keit in unsere Arbeit einbringen können. Egal ob Jung, Alt oder alle gemeinsam, wir verbinden mit Musik die Herzen, wecken die eigene Kreati vität und können somit viel Lebensfreude und Lebensqualität für alle Alters gruppen schaffen und die Generationen ver binden, was so wertvoll und kraftvoll ist. Absolute Herzensprojekte, die es viel mehr geben sollte. MM: Neben der Musik bist du auch ausgebildete Logopädin. Wie findest du die Schnitt - stelle zwischen Gesang und Logopädie? Alle waren so gut! Ausgereifte Musiker. Song - writer, Texter, Comedians (unter anderem der damals noch ganz junge Bodo Wartke) und ich. Am ersten Tag bekam ich direkt Fieber, weil mein System komplett überhitzte. Alle nahmen mich sehr liebevoll an die Hand. Ich erlebte Musik auf kreativstem Niveau. Der ganze Tag war voller Musik: Rhythm & Groove, Texten, Songwriting, Harmonielehre, Bandprojekte aller Stilistiken der Popularmusik, Chor, Gesangsunterricht, Studio Sessions und vieles mehr. Ich wurde gefordert, auf allen Ebenen. Die besondere Aufmerksamkeit, die mir damals auch bei dem Abschlusskonzert zuteilwurde, war überwältigend. Die folgenden Jahre entwickelte ich mich mit vielen tollen begleitenden Menschen weiter. 2003 absolvierte ich den Popkurs ein zweites Mal. Jetzt war ich musikalisch schon ausgereifter. Es entstand ein riesiges musikalisches Netzwerk für mich, viele Pro - duktionen, in denen ich mitwirkte, und berufliche Zusammenarbeiten, die zum Teil bis heute aktiv sind. Der Popkurs war definitiv ein Meilenstein in meinem musikalischen Leben. MM: Du bist musikalisch nicht nur als Sän - gerin tätig, sondern auch in der musikalischen Frühförderung, singst mit Demenz - kranken und bist in der Stammbesetzung der Dozent*innen für die Bandcamps der Rock & Pop Schule Kiel. Magst du etwas mehr darüber erzählen? LILI CZUYA: Ja, über die Jahre haben sich viele Projekte entwickelt, die ich zum Teil dann be - wusst weiter verfolgt habe. Die Bandcamps der Rock und Pop Schule Kiel sind jedes Mal wieder ein großartiges Erlebnis. Jugendliche im Alter von 13–18 Jahren bekommen kostenfrei einen Intensivworkshop in einer schönen Camp-Um - gebung. Von morgens bis abends, sechs Tage lang alles voller Musik. Einzel- und Gruppen un - terricht, Workshops zu musikalischen Themen und Bandtraining mit viel Spaß und einem großen Abschlusskonzert. Wir sind ein eingespieltes Team aus sechs Dozenten unterschiedlichster musikalischer Stile und Disziplinen. Die musikalischen und persönlichen Entwicklungen der Teilnehmer sind jedes Mal beeindruckend. Die musikalische Früherziehung für Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren und das gemeinsame Singen mit Kitagruppen in Altenheimen und in einer Demenz-WG, gestalte ich seit vielen Jahren LILI CZUYA: Die Schnittstelle zwischen dem Ge - sang und der Logopädie stellt die Verbindung der zwei Herzen in meiner Brust und die Zusammen - kunft beider Erfahrungswerte dar. In beiden Dis - ziplinen bin ich zu Hause und kann dadurch aus unterschiedlichen Perspektiven Menschen auf ihrem stimmlichen Weg begleiten. Gesangs - schüler, die zum Beispiel Stimmprobleme haben, oder professionelle Sänger, die auf dem Weg von der Stimmtherapie wieder zurück auf die Bühne sind. Diese Schnittstelle bereitet mir viel Freude und ist ein Grundbaustein in meinen be ruflichen Tätig keiten. Gemeinsam arbeite ich mit der renommierten Stimmtherapeutin Bettina Schulten und der leitenden Gesangsdozentin des BIMM-In stituts Alexandra Pengler bei be sonderen Fällen sehr gewinnbringend zusammen. Auch das Netz werk aus guten Ärzten spielt hierbei eine positive Rolle. Es ist einfach schön, Stimmen in ihrer Hei lung zu begleiten und das Potenzial komplett oder bestmöglich wiederzuerwecken. Die Lebensqualität, die dadurch freigesetzt wird, ist wundervoll. Ich bin sehr froh, dass ich vor vielen Jahren zusätzlich zu meinem musikalischen Weg die Logopädie dazugewonnen habe. Ich bin beides: Künstlerin & Logo pädin. In beiden Dis ziplinen kann ich die Herzen berühren und die Welt etwas schöner machen. Das erfüllt mich. INTERVIEW: LEONIE FÖRSTER FOTOS: TORGE NIEMANN; JAN ZIEGLER; BEATE GRAMS WEB:WWW.LILI-MUSIK.DE AKTUELLE BANDS & PROJEKTE: WWW.HOERBIESCHMIDTBAND.DE WWW.HAPPYTOWN-MUSIC.DE WWW.MOVE-GROOVE.DE WWW.WHITE-LEAVES.JIMDOSITE.COM WWW.KAYO-MUSIC.DE 1/2022 musiker MAGAZIN
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