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Musiker Magazin 04/2016 – 01/2017

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Deutscher Rock & Pop Preis 2016 – Rückblick Deutscher Rock & Pop Preis 2017– Anmeldung Interview mit Carlotta Truman ALYZEE – Queen of Oriental Rock HÖRGERÄT – Rocken auf Deutsch – Interview mit dem Sänger Andy Link Geschichten van der Spree – Interview mit Vivian van der Spree DORIAN BLACK – Das Streben nach ewiger Jugend und den Wunsch, dass man zeitlos durch die Epochen schweben möchte Interview mit der Sängerin Kara Marie-Luise Cassar – Nach 40 Jahren Pause entdeckt sie die Rock-Musik wieder für sich und plant ihre letzte große Show Die Historie der Rock- & Popmusik: Teil 6: David Lindley – der Saiten-Wizard Das Aus für den Musikmarkt reißt eine Lücke Kammergerichtsurteil Berlin GEMA / Musikverlage – Interview mit Dr. Günter Poll Kreative müssen Einzelkämpfermentalität ablegen – Interview mit Bruno Kramm zu GEMA-Urteil

46 MUSIK & RECHT DR.

46 MUSIK & RECHT DR. GÜNTER POLL | WWW.POLL-MEDIALAW.DE Verlegerstandpunkt und nicht an erster Stelle den Rechtsstandpunkt der Urheber? DR. POLL: Diese absolut berechtigte Frage kann ich beim besten Willen nicht beantworten. Sie sollten sie dem GEMA-Vorstand und/oder -Aufsichts- rat stellen. Der Vorstandsvorsitzende Dr. Heker kommt vom Börsenverein des Deutschen Buch - handels und hat schon von daher hauptsächlich Verlegerinteressen im Auge. Dass die GEMA unter seiner Führung aber im Widerspruch zur Sat - zung Letzteren eindeutig den Vorrang vor den Urheberinteressen gibt, ist meines Erachtens skan dalös. Um dies zu verschleiern, tut die GEMA-Füh - rung so, als ob sich Verlegerinteressen und Urhe - berinteressen decken. Das ist freundlich formuliert eine reine Fiktion, durch die die Tatsache verschleiert wird, dass die beiderseitigen Interessen sich bestenfalls teilweise decken. Ein Urheber, der einen Verlagsvertrag mit einem Verleger ab - geschlossen hat, der ihm zwar einen Vorschuss gezahlt hat, ansonsten aber wenig oder nichts für ihn tut (davon gibt es nach meiner langjährigen Erfahrung eine ganze Menge), hat keinerlei Interesse daran, bei jeder GEMA-Ausschüttung ein Drittel bzw. 40 % der auf die Nutzung seiner Werke entfallenden Einnahmen an den Verleger zu verlieren. Wer etwas anderes behauptet, weiß nicht, wovon er redet. MM: Warum wurde über dieses bahnbrechende Urteil des Kammergerichts Berlin bisher in den verschiedenen Fachmedien nicht oder nur ungenügend berichtet? Warum findet keine transparente, neutrale und objektive Diskussion über dieses Kam mer - gerichtsurteil in den Fachverbänden der Musikurheber statt? DR. POLL: Die Erklärung für diese erstaunliche, an die italienische „Omerta“ erinnernde Verschwö - rung des Schweigens ist leicht verständlich, wenn man sich klarmacht, dass die bestens organisierten Verleger mit tatkräftiger Unterstützung der GEMA seit Bekanntwerden des Urteils daran arbeiten, das bisherige rechtswidrige Verteilungs - system zu retten (also kein Interesse an einer Fotoquelle: Dr. Günter Poll offenen Diskussion darüber, wie es anders gehen könnte, haben), während die in wirtschaftlichen Dingen unerfahrenen Urheber irrigerweise davon ausgehen, ihre Interessen seien bei der GEMA gut aufgehoben. Außerdem spielt natürlich eine Rolle, dass viele Komponisten ihre Werke in einem eigenen Verlag führen und so unter dem Strich 100 % der GEMA-Einnahmen erhalten. MM: Es steht außer Zweifel, das zwischen Urhebern und GEMA ein Treuhand ver hältnis besteht, nicht aber zwischen Ver legern und GEMA. In dem Urteil des Kam mergerichtes Berlin wurde klargestellt, dass ein Anspruch der Verleger gegen die GEMA auf Ausschüt - tung eines Anteils der originär nur den Ur hebern zustehenden Erlöse aus der Ver - wer tung ihrer Nutzungsrechte bzw. Geltend - machung der gesetzlichen Vergütungs an - sprüche einer besonderen Rechtfertigung bedarf, weil die Verleger im Normalfall keinerlei Rechte in die GEMA einbringen, die Rechte einbringung nach dem Urteil des Bundesgerichtshofes vom 21.04.2016 (Vogel ./. VG Wort) aber grundsätzlich die Vorausset - zung für den vorgenannten Anspruch ist. Warum hat die GEMA in den letzten 60 Jahren eine rechtsgültige Integration der Musikver - leger in ihre Inkassogesellschaft übersehen? Wie ist es möglich, dass der GEMA bis heute dieser Rechtsfehler nicht aufgefallen ist und/oder von sich aus versucht hat, diesen Rechtsfehler zu beheben? Warum haben die Musikverleger in Deutsch - land in der Mehrheit in ihren Verlagsverträgen mit den Urhebern keine eindeutige unwiderrufliche (teilweise) Abtretung des Ausschüt - tungs anspruchs der Urheber an ihre Ver leger aufgeführt und der GEMA unter Hinweis auf diese Abtretungen vorgelegt? Warum haben die Musikverleger und die GEMA nicht rechtzeitig reagiert, obwohl ihnen das Urteil des OLG München in Sachen Vogel ./. VG Wort vom 13.05.2014 bekannt war, dem sich diese Rechtsgrundsätze entnehmen lassen und das erstmals mit der Vor stellung aufgeräumt hat, „es könne ewig so weitergehen“? War es nicht Aufgabe des GEMA-Vorstands, rechtzeitig juristische und satzungsgemäße Schritte einzuleiten (rechtliche Absicherung entsprechender Än derun - gen der Verlagsverträge)? DR. POLL: Es ist für mich völlig unerklärlich, dass die GEMA nicht schon aus den beiden Urteilen des LG München und OLG München in Sachen Vogel ./. VG Wort die richtigen Konsequenzen gezogen hat, obwohl dazu jede Menge Zeit zur Verfügung stand. Das Erfordernis von eindeutigen Abtretungserklärungen ergibt sich bereits aus diesen beiden Urteilen (aber natürlich auch aus dem BGH-Urteil) und entspricht im Übrigen den allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen. Natür lich wäre es Aufgabe des GEMA-Vorstands gewesen, rechtzeitig (im eigenen Interesse, aber vor allem im Interesse der Urheber) für eine recht lich einwandfreie Regelung zu sorgen, so wie er jetzt versucht, die alte unwirksame Re ge lung durch eine neue (inhaltlich identische) Re gelung zu er - setzen (d. h., den Status quo ante im Interesse der Verleger wiederherzustellen). Bedauer licher - weise hat der Gesetzgeber sich mit der Neu re - ge lung in § 27 Abs. 2 VGG vor den Karren von GEMA und Verlegern spannen lassen, obwohl das Änderungsgesetz die Bezeich nung „Gesetz zur verbesserten Durchsetzung des Anspruchs der Urheber und ausübenden Künstler auf angemessene Vergütung“ trägt. MM: Aufgrund dieses Urteils des Kammer - gerichts Berlin haben jetzt erstmals die Ur - heber in Deutschland eine vollständige Ver - handlungs- und Vertragsfreiheit, wie sie in allen anderen Lebensbereichen ganz selbst - verständlich ist. Wie wirkt sich dieses von Ihnen erstrittene Recht in Zukunft auf die Verhandlungsfreiheit der Musikurheber bei Formulierung von Musikverlagsverträgen mit Musikverlegern aus? DR. POLL: Eigentlich müsste das Urteil ja dazu bei tragen, dass die Urheber von der in diesem Bereich erstmals bestehenden Vertragsfreiheit Ge - brauch machen, d. h., mit den Verlegern auf gleicher Augenhöhe über die Konditionen des Ver - lagsvertrags (Leistung und Gegenleistung, Vertragsdauer etc.) verhandeln. Die GEMA könnte ihnen wenn sie ihre satzungsgemäße Auf - gabe (Schutz der Urheber) endlich ernst nehmen würde eine wertvolle Hilfestellung leisten, um das Gefälle zwischen mächtigen, da wirtschaftlich erfahrenen Verlegern und schwachen, da wirtschaftlich unerfahrenen Urhebern auszugleichen (z. B. durch Beratungsangebote, Entwick - lung von Vertragsmustern etc.). Stattdessen versucht sie, das Urteil bzw. die sich aus dem Urteil für die Urheber ergebenden Möglichkeiten herunterzuspielen, das Ganze als einen Irrweg er - scheinen zu lassen und mit allen Mitteln den Status quo ante zu verteidigen bzw. wiederherzustellen. Das grenzt an gezielte Desinformation, die in einem Treuhandverhältnis (!) nichts zu suchen hat, und lässt gleichzeitig jeden Respekt vor den höchsten deutschen Gerichten vermissen. INTERVIEW: OLE SEELENMEYER FOTO: © ICEDMOCHA/FOTOLIA.COM GRAFIK: © RCFOTOSTOCK/FOTOLIA.COM musiker MAGAZIN 4/16 | 1/17

MUSIK & RECHT 47 »KREATIVE MÜSSEN EINZELKÄMPFER- MENTALITÄT ABLEGEN« Interview mit Bruno Kramm zu GEMA-Urteil Ein Urteil des Kammergerichts Berlin hat eine automatische Ausschüttung von Vergütungen der GEMA an Musikverlage für unzulässig erklärt. Im Interview erklärt Bruno Kramm, einer der Kläger, seine Beweg- und die Hintergründe des Verfahrens. Bruno Kramm ist als Musiker, Komponist und Produzent für seine Band „Das Ich“ tätig. Bis September 2016 war er außerdem Landes - vor sitzender der Piratenpartei Berlin, wechselte dann zu den Brandenburger Grünen und nach kurzer Zeit wieder zu den Piraten zurück. Im In - terview mit netzpolitik.org geht es um ein Urteil des Berliner Kammergerichts (Az. 24 U 96/14, Besprechung bei irights.info) in einem von Kramm und anderen angestrengten Prozess gegen die Musikverwertungsgesellschaft GEMA, wonach Ver lage kein Recht haben, ohne Weiteres an den Einnahmen aus Urheberrechten von Kompo nisten und Textern beteiligt zu werden. Nachdem die Verlegerbeteiligung in den Aus - schüttungen der VG Wort für rechtswidrig erklärt wurde, hat das Kammergericht Berlin auch die Verlegerbeteiligung in der GEMA für rechtswidrig erklärt. Du warst in dem Ver - fahren gemeinsam mit anderen der Kläger. Warum hast du das Verfahren angestrengt? BRUNO KRAMM: Das hat zwei Ebenen. Auf der persönlichen ging es darum, endlich einen Musik - verleger, der sich schamlos seit den frühen 1990ern an meiner Band bereichert hat, endlich von seinen Einnahmen zu trennen. Im Gegensatz zur landläufig verbreiteten Ansicht, Urheber könnten sich ohne Weiteres aus einem Verlagsvertrag befreien, ist es in der Tat sehr schwer, dem Ver - leger Verstöße nachzuweisen, die den Verlags - vertrag komplett beenden und die abgetretenen Rechte an die Urheber zurückfallen lassen. Der ideelle Hintergrund der Klage ist jedoch noch weit wichtiger: Mögen Musikverleger vor Jahr - zehnten als Hersteller von Notendruckerzeugnissen durchaus einer sinnvollen Funktion nachgegangen sein, so ist ihre außergewöhnliche Stellung innerhalb der Verwertungsgesellschaft GEMA kaum nachvollziehbar. Eine moderne Verwer - tungsgesellschaft, die Ausschüttungen aus ur he - berrechtlichen Lizenzen, also Vergü tungs an - 4/16 | 1/17 musiker MAGAZIN

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