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Musiker Magazin 04/2015 – 01/2016

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Rückblick – Deutscher Rock & Pop Preis 2015 Anmeldung –Deutscher Rock & Pop Preis 2016 SO IZZY – Interview THE JUKES – Deutscher Rock-Preisträger 2015 Petti West – Singen für die Seele Abi Wallenstein – „Vater der Hamburger Blues-Szene“ Berlin Syndrome – Indie-Postrock mit einem düsteren Hoffnungsschimmer Die Historie der Rock- & Popmusik: Teil 4 – Die Beatles Flutepower Cordelia Loosen-Sarr – Living flutes with heart & soul Michael Mellenthin – Ein Leben voller Musik MS SINGER’S SWINGERS – Berlin’s 1st Swing-Fusion Orchestra Session Pro – Alexander Schad berichtet von den besonderen Herausforderungen und seiner Liebe zu Veranstaltungstechnik Hätt’ ich bloß nicht gefragt! – Wer selbst gemachte Videos mit Musik unterlegen will, braucht die Nutzungsrechte daran

34 STORIES flug in

34 STORIES flug in „Across The Universe“. In „Re vo lution“ distanziert Lennon sich differenziert von Gewalt (wie auch in seinen Solo-Songs und wie eindeutig zugleich bei Lennons Solo-Songs „Give Peace A Chance“ und „Imagine“). Damals stichelte NDR-2-Moderator Henning Venske, das Thema Re volution sei für Lennon doch „wohl eine Nummer zu groß“. Wie auch immer: Kunst kann jenseits von Vor stel lungen erzwungener Veränderung so manches ohne Gewalt zum Besseren wenden. Wie John Lennon persönlich zu seinen Aus sa gen gestanden hat, hat ge rade eine neue Buchver - öffentlichung unter die Lupe Hätte es zum Beispiel die vielen assoziativ wirkenden John-Lennon-Texte wie „Nor wegian Wood“, „Being For The Benefit Of Mr. Kite!“, „A Day In The Life“, „Strawberry Fields Forever“, „I’m A Walrus“, „Glass Onion“ und „Come To get her“ ge geben, wenn er seine drei Mitstreiter nie getroffen hätte? Aber diese Frage muss man zum Glück gar nicht be - antworten. »Die Musik der Beatles ist revolutionär. Anders als Elvis Presley und Chuck Berry haben sie der jungen Generation ab Herbst 1962 auch ein neues Lebensgefühl gegeben und sie aus dem Mief der restaurativen Nachkriegszeit herausgeführt.« Im Werk kreativer Schöpfer ähnelt sich wenig. Natürlich bleibt ihre Handschrift sichtbar, aber aus - getretene Pfade sind nicht ihre Sache. Dass die Beatles auch immer wieder einfach rockten („Roll Over Beethoven“, „Rock ‘N’ Roll Music“, „I’m Down“, „Sergeant Pepper’s Lonley Hearts Club Band“, „Hey Bulldog“, „Birthday“, „Why Don’t We Do It In the Road“ und „One After 909“), ist dabei schlicht erfrischend. Die Musik der Beatles ist revolutionär. Anders als Elvis Presley und Chuck Berry haben sie der jungen Generation ab Herbst 1962 auch ein neues Lebensgefühl gegeben und sie aus dem Mief der restaurativen Nachkriegszeit herausgeführt. Die orgiastischen Teenager-Reaktionen auf die Live-Auftritte der Beatles sind legendär. Dabei ist die Botschaft der Beatles grundsätzlich friedlich (in „Maxwell’s Silver Hammer“ redet Paul McCartney sicherlich nicht psychopathischen Killern das Wort), ihr „All You Need Is Love“ ist keine Phrase. Wie anrührend ist der Gedanken - genommen und ein wenig vorteilhaftes Bild von ihm gezeichnet. Seine Kunst und die der Beatles schmälert das aber nicht. Werk und Persön lich - keit lassen sich ohnehin nicht so gleichsetzen, dass nur Edel men schen Kunst produzieren. In der Bundesrepublik begann die Ver mark - tung der Beatles-Musik allerdings hausbacken. Die erste LP „Please Please Me“ erschien 1963 als Sonderanfertigung für die TV-Zeitschrift HÖR ZU. Ein besserer Slogan als das müde „Die zentrale Tanzschaffe“ fiel den Experten der Werbe - abteilung nicht ein. Aber es brauchte ja noch einige Zeit, bis sich durchsetzte, populärer Musik auch zuzuhören. Wie wichtig übrigens in der frühen Zeit der Beatles ihrem Label Odeon der deutsche Schallplattenmarkt war, sieht man an den beiden von ihnen noch einmal auf Deutsch aufgenommenen Hits „Komm gib mir Deine Hand“ („in Deinen Armen bin ich glucklich und fro-oh“) und „Sie liebt Dich“. Nach vielen Nummer-1-Hits hatten die Beatles sich aber bis zu ihrem Album „Help“ zum gleichnamigen Richard-Lester-Film von 1965 längst mit Siebenmeilenstiefeln weiterentwickelt. Jedoch ab „We Can Work It Out“ und dem Album „Rubber Soul“ wurde ihre Musik immer ungewöhnlicher und überraschender. Kul - minationspunkt ist das „White Album“, auch wenn die Bandmitglieder begonnen hatten, sich voneinander abzuwenden. Der Abwechsl ungs - reich tum sucht seinesgleichen, Rockiges, Balla - den, Hit-Verdächtiges, Vertracktes fügen sich zu einem einzigartigen musikalischen Erlebnis zu - sammen, bei dem sich die Fab Four auch solche Titel wie „Wild Honey Pie“ und „Revolution 9“ leisten konnten. McCartneys „Helter Skelter“ war womöglich der erste Heavy-Metal-Song, als der Begriff in der Musik noch nicht existierte. Es wird deutlich, dass Harrison ein großes Talent zum Komponieren hatte, und obendrein besticht sein „While My Guitar Gently Weeps“ auch noch durch eines von Eric Claptons frühen wegweisenden Gitarren-Soli. Das Nachfolge-Album „Abbey Road“ ist das erstaunliche Beispiel, dass eine Band sich trotz aller Zerfallserscheinungen ein letztes Mal zusammenreißen konnte, um ein letztes gemeinsames Meisterwerk voller sprühender Ideen vorzulegen nicht zuletzt ein Verdienst ihres Pro - duzenten George Martin. Selbst das zuletzt veröffentlichte Album „Let It Be“, eingespielt in der Schaffenskrise vor „Abbey Road“, steckt voller origineller Ideen, die Phil Spector allerdings zum Teil überproduziert hat. Daher lohnt sich unbedingt die davon entschlackte Album-Fassung „Let It Be Naked“, die vor einigen Jahren veröffentlicht wurde. Beatles pur das ist das Roof- Top-Konzert mit all seinen Wiederholungen, im Bild zum Teil im Film LET IT BE zu sehen, der letzte gemeinsame Auftritt der berühmtesten Band der Welt, dem damals die Londoner Polizei ein Ende setzte, weil Bewohner aus der Umgebung sich belästigt fühlten. Nach außen harmonierte die Band mit Billy Preston an den Keyboards auch da noch. Der Einfluss der Beatles auf die moderne Musik lässt sich wahrscheinlich nicht hoch genug einschätzen, weil sie zahllose Musiker rund um den musiker MAGAZIN 4/15 | 1/16

STORIES 35 Erdball inspiriert haben und zu den Katalysatoren der musikalisch-kreativen Explosion in der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre zu zählen sind. Im zeitgenössischen Radio, weit vom heutigen un - säglichen musikalischen Einheitsbrei entfernt, wurden spätestens ab „Rubber Soul“ die neuen Alben der Beatles ausführlich vorgestellt, zuweilen sogar im Morgenprogramm, bevor die Men - schen zur Arbeit oder zur Schule gingen. Ganze Schulklassen waren mit ihrer Musik so vertraut, dass sie viele Songs samt Texten aus dem Steg - reif intonieren konnten. Dabei musste man sich schon bemühen, Ausdrücke aus der englischen Umgangssprache zu verstehen. Ein Begriff wie „hoedown“ in „Rocky Raccoon“ stand natürlich nicht im Schulwörterbuch, und das Internet war noch Science Fiction. Und als Anfang Juli 1966 ein Zusammenschnitt der beiden Beatles-Auf trit - te im Münchner Circus-Krone-Bau während der Bravo-Blitz-Tournee vom ZDF ausgestrahlt wurde, haben unzählige junge Menschen buchstäblich vor den Mattscheiben geklebt ein denkwürdiges Dokument, da die Beatles Ende August des Jahres letztmalig live vor Publikum auftraten. Die Beatles haben weit über ihre Musik und die Hitparaden-Notierungen hinaus nachhaltig ihre Spuren in der Gesellschaft, im Lebensgefühl, in der Mode, im Film und in der Kultur überhaupt hin ter las sen. Eine Kon tro verse ent - brannte, als die Queen ihnen E n d e Oktober 1965 den Orden „Member of the Order of the British Empire“ verlieh. Ordens trä - ger gaben naserümpfend ihre Aus zeichnung zu - rück, weil sie nicht mit Pop-Musik auf eine Stufe gestellt werden wollten, während andere den Beatles vorwarfen, sie hätten sich vom Establishment vereinnahmen lassen. Auf jeden Fall waren die bisher schräg von der Seite angeschauten „Langhaarigen“, die da noch ihre recht kurze Pilzkopf-Frisur trugen und ihre Haar tracht erst um die Zeit der Sessions zum „White Album“ veränderten, in der Mitte der Ge - sell schaft angekommen. Die Band gründete das eigene Schallplatten-Label Apple, eröffnete im „Swinging London“ in der Carnaby Street einen Modeladen und drehte zu vielen ihrer Hit-Songs kleine Filme, die Vorläufer der Videoclips. Diese kleinen Filme, ganz besonders aber die Spielfilme der Beatles, unterhalten auch nach 50 Jahren bestens: der übermütige erste Streifen YEAH! YEAH! YEAH!, der der Beatle-Mania huldigt, die überdrehte große Komödie HELP, der verschroben-verspielte Zeichentrickfilm YELLOW SUMA- RINE um die Musik der Beatles (mit herrlich surrealen Mono lo gen des Nowhere Man Jeremy), der seinerzeit missverstandene experimentellhalluzinatorische TV-Film MAGICAL MYSTERY TOUR und der Oscar-prämierte Schwanen ge - sang LET IT BE, der trotz allen Bemühens, vom Zerfall der Band abzulenken, ein nicht zu unterschätzender Bei trag zur Bandgeschichte ist alle gespickt mit zumeist eigens dafür komponierter Musik der Fab Four, die während ihres Bestehens und auch noch Jahrzehnte danach mit Ehrungen und Prei sen überschüttet worden sind. Kein Wunder, dass es weltweit bis heute Beatles-Cover-Bands und Beatles-Fan-Clubs gibt. Die Beatles, das ist der Griff in Fülle verbunden mit der Erkenntnis, dass sich die Band in all ihren Facetten kaum erfassen lässt. Zu denen zählen auch Seiten wie Rauschmittel- und Alkohol kon - sum und der Versuch der Musiker, in Indien der Spiritualität mithilfe des zweifelhaften Maharishi nahe zu kommen. Über seinen Guru schrieb der enttäuschte Lennon für das „White Album“ den Song „Sexy Sadie“, bevor er mit Yoko Ono an einer Urschrei-The ra pie teilnahm. Die Ver öffent li chun - gen der Beatles bis zu ihrer Auflösung sind überschaubar. Erst zö gernd und dann immer mehr Fahrt aufnehmend kam danach eine 4/15 | 1/16 musiker MAGAZIN

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