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Musiker Magazin 03/2015

REVOLVERHELD – Immer in Bewegung "Wir sind keine Band, die ein Kunstprodukt ist und affektiert auf der Bühne steht." Deutscher Rock & Pop Preis 2015 78Twins – "Fast Beinahe Bekannt" Viola Tamm & Band – Samtig grell und anmutig dreckig! Nobody Knows – Postmoderne, bundesrepublikanische Folklore mit nordwesteuropäischer Note und ostokzidentaler Rhythmik Lady Moustache – Rauer und energiegeladener Sound Saris– Durch die Nische zum Erfolg DCseven – Mal rockig, mal funky, und dabei immer selbst gemacht Matthias Weisheit – Gitarrist, Singer-Songwriter, Bassist, Komponist, Textdichter, Produzent/Arrangeur, Lehrer/Dozent April Art – Kickender Crossover/Alternative Rock mit weiblicher Powerstimme und garantiert feinstem Abgehpotenzial Interview mit Paul-Gerhard Lange Die Historie der Rock- & Popmusik: Teil 3: Johnny Winter – Wintertime Again Es geht auch ohne Plattenfirma – aber nicht ohne deren Arbeit Als Musiker reicht mir doch eine Privathaftpflicht, oder?

18 STORIES NOBODY KNOWS

18 STORIES NOBODY KNOWS Postmoderne, bundesrepublikanische Folklore mit nordwesteuropäischer Note und ostokzidentaler Rhythmik Seit etwa 15 Jahren tritt die Formation NO - BODY KNOWS gemeinsam auf. Ihr Musik stil lässt sich nicht in eine Schublade quetschen. Max Heckel berichtet über ihren Stil-Cocktail und über Veränderungen in seiner Musikwelt. MM: Mit NOBODY KNOWS macht ihr nach eigenen Angaben „postmoderne, bundesrepublikanische Folklore mit nordwesteuropäischer Note und ostokzidentaler Rhythmik“. Was genau kann man sich darunter vorstellen und wie kam es zu diesem bunten Cocktail? MAX HECKEL: Wir haben uns in den Anfangs - jahren dem Irish Folk zugewandt. Damit war Schluss, als wir deutschsprachige Impulse einbezogen und uns stilistisch nicht in statischen Bahnen bewegt haben. Das puristisch geprägte Publikum war verstimmt, weil es bei einem Kon - zert von uns nicht reinen Irish Folk gehört hat. Darum (und weil ich ein sprachaffiner Mensch bin) habe ich beschlossen, unsere stilistische Ver - ortung derart zu verklausulieren, dass niemand behaupten kann, er habe nicht gehört, was sich hinter „postmoderne, bundesrepublikanische Folk - lore mit nordwesteuropäischer Note und ostokzidentaler Rhythmik“ verbirgt. Das ist ein wenig Irish Folk, viel Country und Polka, etwas Welt musik und Pop, aber auch Rap-, Rock- und Punkele - mente. Dieser stilistische Cocktail ist die Kon se - quenz unseres Selbstverständnisses, das ich als „konzeptionelle Konzeptlosigkeit“ bezeichne. Alle Musiker von NOBODY KNOWS haben andere musikalische Präferenzen und jeder möchte diese einbringen. Vor ein paar Jahren dachte ich, dass sich Folk und Rap ausschließen. Heute musiker MAGAZIN 3/2015

STORIES 19 »Irgendwo zwischen „Jazz und Hass“ bleibt viel Platz für Selbstironie und Komödiantismus, Traditionelles und Eigenes, eigene und andere Texte, vor allem jedoch für unbändige Spielfreude.« NOBODY KNOWS „Kleinstadtrhapsodien“ VÖ: 30.08.2014 NOBODYKNOWS.DE WWW.FACEBOOK.COM/ NOBODYKNOWS.DE haben wir diese Grenze überwunden, weil wir die Vorteile einer pluralen Welt in unserem Bühnen - schaffen leben. MM: Ihr seid eine Folk-Gruppe, vertont be - kannte Gedichte und interpretiert musikalische Klassiker neu. Dabei geht es euch immer um Tanzbarkeit. Warum findet ihr das Tanzen wichtig? MAX HECKEL: Die Vertonung von Gedichten kam so: Wir hatten textlich nicht viel zu sagen. Also haben wir uns bekannter Texte bedient. Wichtig war, dass die Leute mit uns einen Abend lang ihren Alltag vergessen, sich die Füße wund tanzen, die Kehlen wund singen und die Hände schwielig klatschen konnten. Musik ist für uns in erster Linie Aus druck einer unbändigen Lebensfreude. Tanzen ist eine Ausdrucksform, in der Freude Gestalt annimmt. Wir wollten unterhalten. In den vergan- genen an der t halb Jahren schlichen sich kritische Gehalte in unsere eigenen Texte. Aber es bleibt eine Grat wanderung, unser altes Publikum nicht zu verlieren und neues hinzuzugewinnen. Dieser Schritt ist der komplizierteste. Es gilt, die Gleich - zeitigkeit von U- und E-Musik zu überwinden, Kritik am Selbst und der Gesellschaft und Welt - vergessen zu einen sowie Unschönes und Ge - fällig keit gleich zeitig zu thematisieren. MM: Ihr macht bereits seit 15 Jahren ge mein - sam Musik. Wo gibt es manchmal Schwie rig - keiten? Wie geht ihr mit Kon flikten um? MAX HECKEL: Wie in jeder Form von Beziehung haben wir Konflikte. Das fängt damit an, dass sich niemand darum reißt, den Proberaum oder den Bandbus sauberzumachen, betrifft aber auch Dinge wie Bewerbungsarbeit, kreative Differenzen und die Frage, wie viel Polemik einem Publikum zuzumuten ist. Da kein Konflikt besser wird, wenn man ihn schweigt, wird er bei uns umgehend thema tisiert. Darüber sprechen, anders machen, Punkt. »Wenn man kein starkes Major-Label im Rücken hat, kann man zwar Kritik betreiben, sie aber nur schwer verkaufen.« MM: Warum ist Folk eurer Meinung nach heute immer noch bedeutsam? MAX HECKEL: Er ist existent und hat seine Zu - hö rerschaft, was ihn legitimiert. Alle Genres leben von der erfassbaren Einfachheit ihrer Melodien, was sie gleichermaßen ohrwurmend wie kritikanfällig macht. Wir machen, was Tausende vor uns ge macht haben, aber wir machen es auf unsere Weise. MM: Eure Texte sind oft dreist und mit einem Augenzwinkern zu hören. Warum ist euch der Unterhaltungswert so wichtig? MAX HECKEL: Weil man, wenn man kein starkes Major-Label im Rücken hat, Kritik zwar betreiben, sie aber nur schwer verkaufen kann. Letztlich geht es bei jeder Arbeit darum, wie man seine Miete und Brötchen bezahlt. Das führt in unserem Kon - text zwar mitnichten zur Prostitution gegenüber einem Diktum der Gefälligkeit, ist aber dennoch ein wichtiger Punkt im Leben als Musiker. Wenn ich Musik höre, möchte ich genießen, was nichts anderes bedeutet, als dass ich unterhalten werden möchte. Gute Unterhaltung ist dabei so rar wie echter intellektueller Genuss. Insofern bewegen wir uns in einem anspruchsvollen Feld. Das Augenzwinkern ist gut verpackte Kritik. Die schein - bare Leichtigkeit des Dargebotenen rekurriert auf die Fähigkeit des Publikums. Dies zu kultivieren, war ein anstrengender Weg. MM: NOBODY KNOWS haben schon etliche CDs veröffentlicht. Wie zufrieden seid ihr mit euren Produktionen? Gibt es Songs, für die ihr euch heute schämt? Wenn ja, welche und warum? MAX HECKEL: Heute können wir uns ein anderes Studio leisten als früher, als wir noch Schüler waren. Beschämenswert finde ich nichts. Jeder Titel legt Zeugnis darüber ab, was wir waren. Natürlich gefallen mir heute einige Titel nicht mehr so, wie sie mir beim Schreiben gefallen haben. Dass es keinen Grund für Scham gibt, mag aber auch daran liegen, dass wir erst recht spät textproduktiv geworden sind. MM: Wie kann man heutzutage als Musiker leben? Was hat sich in den 15 Jahren Band- Erfahrung verändert? MAX HECKEL: Ich lebe seit etwa fünf Jahren von der Musik, habe aber noch eine andere For ma - tion, einen Verlag und bin als Schriftsteller und Veranstalter aktiv. Ich habe erlebt, dass authentische Bands zum Klischee werden. Ich habe erlebt, dass ihr Publikum das verzeiht. Das Gegenteil aber auch. In 15 Jahren NOBODY-KNOWS-Band-Er - fah rung hat sich für mich fast nichts verändert: Manche Veranstalter sind geizig, manche Festi - vals sind der absolute Kracher. Wenn die Stim - mung bei einem Konzert nicht explodiert, ist das heute wie gestern unsere Schuld, nicht die des Publikums. Wie vor 15 Jahren spielen wir vor einem Auftritt gern Billard, Skat, Fußball oder gehen baden. Ich trinke noch immer zu viel Cola und insgesamt sind wir alle etwas dicker geworden (nur mein Vater nicht). Doch: Eine Sache hat sich verändert: Harte Männer essen heute mehr Gemüse und weniger Fleisch und bestellen beim Veranstalter laktosefreie Milch. WEB: NOBODYKNOWS.DE INTERVIEW: JANINA HEINEMANN FOTOQUELLE: NOBODY KNOWS FOTO: © HALFPOINT/FOTOLIA.COM 3/2015 musiker MAGAZIN

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